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Foto: Oliver Bodmer
26.11.2019

Alte Menschen brauchen eine bessere Lobby

Erstes Fachgespräch der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zum Kommunalwahlkampf widmet sich dem Thema Alter

Die Zahlen der Bevölkerungsstatistik sprechen eine deutliche Sprache: Waren 1980 rund 200.000 Münchner älter als 65 Jahre, sind es aktuell gut 266.000. Bis zum Jahr 2040 steigt ihr Anteil um 21 Prozent auf knapp 330.000; knapp 100.000 von ihnen dürften dann älter als 80 Jahre sein. Zugleich nimmt die Altersarmut in der „Weltstadt mit Herz“ zu: Laut dem Armutsbericht lebt jede vierte Person, die älter als 65 Jahre ist, derzeit unterhalb der Armutsschwelle. Und auch diese Zahl wird steigen: In 15 Jahren könnten Schätzungen zufolge zwischen 36 und 52 Prozent der über 65-Jährigen von Einkommensarmut betroffen sein.

Was unternehmen Politiker und Parteien, um diesem Trend Einhalt zu gebieten? Das wollten die sechs Münchner Wohlfahrtsverbände wissen und luden zu einem ersten (von fünf) Fachgesprächen ein, um Kandidatinnen und Kandidaten für den neuen Stadtrat auf ihren sozialpolitischen Zahn zu fühlen. Mit ihrer Kampagne „Weil alle Menschen zählen – sozial wählen!“ wollen sich die Verbände bewusst in den Kommunalwahlkampf einmischen: „Wir sind zwar keine Partei, die man wählen kann – aber wir ergreifen Partei für die Menschen, denen es nicht so gut geht“, erläuterte Andrea Betz, Sprecherin der Sozialverbände, das Ziel der Aktion. Den Verbänden sei es wichtig, dass die Sozialpolitik auch weiterhin ein großes Gewicht habe und künftig ausschließlich von demokratischen Parteien gestaltet werde. Sozialer Friede in der Stadt könne „nur gelingen, wenn alle Menschen im Blick sind“.

Dass alte Menschen keinen Stellenwert hätten, beklagte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde: „Senioren haben in der Stadt keine Lobby.“ Es gebe zwar „Politik und Verbände, aber es fehlen die menschlichen Kontakte“, so ihre Einschätzung. Dass es überhaupt eine Altersarmut gebe, sei für sie unverständlich und müsse von der Bundespolitik abgestellt werden. „Die Menschen haben lange gearbeitet und haben das Recht, auch im Alter so zu leben, wie sie wollen.“

OB-Kandidatin Katrin Habenschaden von den GRÜNEN betonte, dass man alte Menschen so wichtig nehmen müsse, wie es nur geht, „aber nicht in Konkurrenz zu anderen Gruppen“. Zugleich sei es Aufgabe der Kommune, grundlegende Bedarfe wie altersgerechten und bezahlbaren Wohnraum sowie qualitativ hochwertige Pflege zu befriedigen: „Das muss eine Stadt leisten können.“ Neue Herausforderungen seien im Bereich der Pflege die Zunahme von Demenz und multiplen Erkrankungen, auch bei der interkulturellen Öffnung der Altenpflege stehe man erst am Anfang. Sie forderte auch, dass Sozialbürgerhäuser mehr sein müssten als nur bürokratische Anlaufstellen; sie müssten sich vielmehr öffnen in die Quartiere und „Begegnungsorte“ werden. Im vermehrten Bau von Mehrgenerationenhäusern sah Habenschaden einen zukunftsweisenden Weg, „damit Situationen von Vereinsamungen gar nicht erst entstehen“.

Bürgermeister Manuel Pretzl (CSU) wies auf die Leistungen der Stadt hin, die aktuell 35,7 Millionen Euro für die Altenhilfe ausgebe. Dazu kämen täglich rund 100.000 kostenlose Mittagsspeisungen sowie die Subventionierung des Seniorentickets. Pretzl wertete das als „parteienübergreifende große Unterstützung für alte Menschen“. Kritik übte er daran, dass es in den vergangenen Jahren Arbeitgebern zusehends erschwert worden sei, Senioren einen passenden Job anzubieten, der ihnen einen kleinen Zuverdienst bringe und sie zudem am Leben teilhaben lasse: „Da haben sich die Bedingungen massiv verschlechtert und die bürokratischen Hürden müssten gesenkt werden.“

SPD-Stadträtin Anne Hübner wies auf den tarifrechtlichen Unterschied in der Bezahlung von pädagogischem Personal und Pflegekräften hin: „Dass in unserem Tarifgefüge ein älteres Leben weniger wert ist, macht mich wütend“, sagte sie. Die Bundespolitik sei in diesem Bereich jahrelang untätig gewesen – „und wir stehen jetzt mit den kommunalpolitischen Konsequenzen alleine da“. Um alte Menschen besser zu integrieren, müssten auch gutverdienende Menschen Solidarität üben mit freiwilligem finanziellen und persönlichen Engagement: „Die Politik im Rathaus kann nicht alles richten; es braucht auch den Beitrag jedes Einzelnen.“

Marion Ivakko vom Bayerischen Roten Kreuz forderte bessere Informationen speziell für ältere Menschen. Viele von ihnen wüssten nach wie vor nicht, was ihnen zusteht: „Die Hürde, dass sie ihre berechtigten Forderungen durchsetzen, ist schwer zu überwinden.“ Künftig werde es immer wichtiger, Jugend und Alter bei gemeinsamen Sozialprojekten zusammenzubringen; davon würden beide Seiten profitieren. Insgesamt forderte sie, mehr Rücksicht auf alte Menschen zu nehmen, etwa beim Tempo von Rolltreppen. „Auch entschleunigte Menschen müssen im Alltag eine Chance haben.“

Zur Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege München gehören die Arbeiterwohl-fahrt, das Bayerische Rote Kreuz, die Caritas, die Diakonie, die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die sechs Wohlfahrtsverbände mit mehr als 600 Mitgliedsorganisationen beschäftigen in zahlreichen Einrichtungen in der ganzen Stadt rund 20.650 Personen.

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