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MiB_September-2015

11 der letzte nach München, und der Vater mahnt zur Eile. Kaum wird die Tür der Gondel geöffnet, stürmen die vier in Richtung Bahnsteig. Der Lokomotivfüh- rer, entspannt aus dem Fenster seiner Kabine gelehnt, ruft ihnen grinsend zu: „Schickt’s euch! Sonst fahren wir ohne euch ab!“ Gerade noch rechtzeitig schwin- gen sich die vier in den ersten Waggon hinter der Lok. * Währenddessen machen sich zwei Fahr- dienstleiter der Deutschen Bahn bereit, eine Besonderheit des erst wenige Tage gültigen Sommerfahrplans zu regeln: Die Strecke zwischen Lenggries und Holzkir- chen verläuft eingleisig, entgegenkom- mende Züge sollen an den Bahnhöfen Schaftlach oder Warngau kreuzen. Die Fahrdienstleiter müssen sich telefonisch abstimmen, wer seinen Zug auf die Reise schickt. „Luftkreuzung“ sagt die Fach- sprache dazu. Die beiden Diensthaben- den nehmen also Kontakt auf … und hät- ten sich nun an einen exakt vorgege- benen Wortlaut halten müssen. Stattdes- sen reden die beiden aneinander vorbei: Jeder bietet seinen Zug zur Durchfahrt an – und versteht den anderen so, dass dies bestätigt wurde. Erschwert wird die Abstimmung dadurch, dass die vierstel- ligen Nummern der beiden Züge bis auf die letzte Stelle identisch sind. Die Katas- trophe nimmt ihren Lauf: Vom Bahnhof Schaftlach und vom Bahnhof Warngau aus begibt sich jeweils ein Zug auf den eingleisigen Streckenabschnitt. * Wilhelm Mahler sieht sich indessen stra- fenden Blicken seiner Mitreisenden aus- gesetzt: Seine beiden jüngeren Söhne sind lebhaft, und die Familie zieht lieber weiter nach hinten. Sie sitzen nun in der Mitte des ersten Waggons. In Bad Tölz sind weitere Wanderer zugestiegen, der Zug ist gut besetzt. Wilhelm Mahler kon- zentriert sich auf den Schaffner, der sich von vorn nähert – sie müssen ja noch Fahrkarten lösen. Wilhelm Mahler und seine drei ältesten Söhne wären in dem Abteil, in dem sie zunächst Platz genommen hatten, wohl wie alle anderen Fahrgäste dort ums Leben gekommen. So konnten sie sich noch selbst aus den Trümmern befreien. Plötzlich ein starker Ruck. „Notbremsung!“, ist Wilhelm Mahlers reflexhafter Gedanke. Die geht über in ein wildes Hin- und Herschwanken des gesamten Waggons. Sein ältester Sohn Matthias, der in Fahrtrichtung sitzt, wird über seinen gegen- übersitzenden Bruder hinweg nach vorn ge- schleudert und prallt mit dem Kopf auf die Trenn- wand. Es wird finster hinter Wilhelm Mahlers Fenster. Ihr Waggon hat sich seitlich gedreht und rutscht, von unsanften Erschütterungen und ei- nem ohrenbetäubenden Lärm begleitet, über das Gelände. * Beim Fahrdienstleiter des Warngauer Bahnhofs klingelt das Telefon der bahnamtlichen Leitung – am anderen Ende fragt alarmiert der Kollege aus Schaftlach: „Was hat denn da g’scheppert?“ – „Was soi denn g’scheppert hab’n?“ – „Hast du viel- leicht an Zug fahr’n lassen?“ – „Ja freili hab‘ i an Zug fahr’n lass’n.“ – „Ehrlich?“ – „Ja klar, i lüag di doch net oo.“ – „Dös darf doch net wahr sei!“ Es ist „Unser Waggon entgleiste und kippte aufs Dach.“

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