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MiB_Juni_2016

14 Spektrum 14 Spektrum ie elend muss sich die deutsch- stämmige 23-Jährige fühlen, als sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus Polen flüchtet und sich in der Abstellkam- mer eines niederbayerischen Bauernhofs wiederfindet. Die junge Frau entstammt einer wohlhabenden Gutsbesitzer-Fami- lie – nun lebt sie mit ihrer zweijährigen Tochter Inge zwischen schimmeligen Wänden, als unerwünschte ausländische Kriegswitwe, und hat ungewohnt harte Arbeit auf den Feldern zu verrichten. Ein Lichtblick sind die auf dem Hof stationier- ten amerikanischen GIs, von denen einer der attraktiven Helferin bald den Hof macht. Sie verliebt sich und lässt alle Vor- sicht außer Acht. Kurz darauf ist der Ame- rikaner verschwunden und sie wieder schwanger. 1946 erblickt Lydia Brigitte das Licht der Welt. Es ist kein guter Lebensbeginn: Das kleine Bündel will partout nicht zu- nehmen. Das Nahrungsangebot in der Nachkriegszeit ist dermaßen karg, dass der Säugling Tag für Tag ums Überleben kämpft. Zwar versucht die Mutter, ihre Nach 65 Jahren finden sich zwei Schwestern wieder, die in der Nachkriegszeit getrennt wurden. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes führte sie zusammen. „Ein unglaublich emotionaler Moment!“ W wenigen geretteten Kleider aus besseren Zeiten gegen Lebensmittel einzutauschen, doch ganz Deutschland hungert. Mit neun Monaten wiegt die kleine Lydia gerade einmal sieben Pfund. Die Rettung naht im Regionalzug: Eine gut situierte Dame aus Tegernsee hält sich für einige Wochen in dem niederbayeri- schen Dorf auf, um den elterlichen Hof, den sie kürzlich geerbt hat, zu veräußern. Während einer Bahnfahrt erzählt sie ei- ner Freundin traurig von ihrer ungewoll- ten Kinderlosigkeit. Sie und ihr Mann wollen nun unbedingt ein Kind adoptie- ren. Eine Mitreisende hört unfreiwillig mit – und hat den Mut, die beiden Frauen anzusprechen: Sie wisse da ein solches Kind. Lydia Brigitte Teuber, heute 70, be- zeichnet diese Frau als „meinen Schutz- engel“: „Sie gab unsere Adresse weiter, und die beiden Freundinnen suchten uns umgehend auf. Behutsam versuchten sie, meine Mutter davon zu überzeugen, dass ich in meinem Zustand nicht mehr lange überleben würde.“ Die Alleinerziehende sah die Aussichtslosigkeit ihrer Situation wohl selbst, weigerte sich jedoch über Wochen, ihr Baby wegzugeben. Entgegen ihrer Hoffnung verbesserte sich das Nah- rungsangebot nicht. Und am Ende lenkte sie ein. „Ich hatte die schönste Kindheit“, er- innert sich Lydia Brigitte Teuber und zeigt Fotos: mit etwa sechs Jahren im schicken Angorajäckchen, stolz mit ihrem neuen Fahrrad oder beim Spielen vor einem be- eindruckenden Anwesen. Sie wusste, dass sie ein angenommenes Kind war, be- trachtete ihre Adoptiveltern aber als Mut- ter und Vater. „Es ist mir gut gegangen, und sie haben mich über alles geliebt!“ Nur eine Schwester, die hätte sie gern ge- habt. Auch Inge hängt der Verlust der klei- nen Lydia nach. Eine ihrer frühesten Kind- heitserinnerungen ist, wie sie ein Baby in seiner Wiege schaukelt. Eines Tages war es nicht mehr da, und ihre Mutter war traurig. Aber sie respektiert deren Wunsch, das Thema nicht mehr zu erwähnen. Erst nach dem Tod der Mutter im Herbst 2011

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